Dienstag, 9. Juli 2013

Perspektivenwechsel

Ich habe wieder was zu erzählen:
Ich war gestern spazieren!
Soweit jedenfalls die Version für Mami ;)

Und jetzt die etwas ausführlichere Geschichte: Ich habe mir die Welt einmal von oben angeschaut und bin zu den Vögeln auf die Dächer der Stadt geklettert.
Damit wäre mein größter Wunsch auf der Liste, mit den Dingen, die ich in meiner Zeit hier noch unbedingt gemacht haben möchte, erfüllt. Diese Idee spukte mir schon einige Zeit im Kopf herum, seit Ela mich nämlich auf unserer Fahrt nach Vyborg gefragt hatte, ob ich denn schon einmal auf dem Dach spazieren gegangen sei.  Wo?! - Na auf dem Dach!
Zuerst konnte ich in diesem Punkt weder meinen Sprachkenntnissen, noch Elas Zeichenkünsten so recht trauen und zog deshalb noch das liebe Wörterbuch zu Rate. Ja, auf dem Dach - natürlich, wo denn auch sonst?
Tatsächlich hörte ich danach noch ab und zu, hier und dort etwas von Dachspaziergängen. . .
"Einfach so" sind wir aber natürlich nicht da rauf gestiegen.
Ela ist über ein Freundin zu einem jungen Mann, Denies, gelangt, der seit fünf Jahren über der Stadt umherwandert und regelmäßig bezahlte Dachexkursionen leitet und damit größtenteils seinen Lebensunterhalt verdient. Weil er dafür aber vor allem von Mundpropaganda abhängig ist, war der kleine Höhenausflug für uns kostenlos. Wir sollen ihn einfach nur weiterempfehlen :)
Um acht trafen wir ihn an einer Metrostation, eine halbe Stunde von hier,und in den nächsten zehn Minuten stießen noch drei weitere Frauen, wobei eine davon zu meiner Beruhigung deutlich älter als ich (schätzungsweise um die 50) war und gingen gleich los. Schon komisch wie schnell wir, sechs wildfremde Menschen, alle ins Gespräch kamen und munter drauf los plauderten. Wahrscheinlich eine willkommene Ablenkung von der Aufregung und wenn man schon auf ein Dach steigt, dann kann man auch mal viel schneller mit Leuten als es vielleicht sonst so seine Art ist. . .
Jedenfalls hatte ich das Dach fast schon wieder ein bisschen vergessen, bis Denies stehen blieb, um uns seine erste "Einweisung" zu geben. Erste Regel: leise sein - Vielleicht doch nicht ganz so offiziell wie ich dachte. . ?
Er öffnete die Tür zum Treppenhaus mit einem Magnetschlüssel und wir stiegen als schweigende Karavane hintereinander die fünf Treppen hinauf. Es roch nach einer Mischung von frischer Blumenerde und muffigem Keller, wenn das Dach gleich unsere Straße sein sollte, dann war das ja auch genau genommen einer :D
Oben auf dem letzten Treppenabsatz wartete bereits Denies und hielt uns eine Tür offen. Und weiter ging es. Gebückt tasteten wir uns im Licht zweier Taschenlampen auf dem sonst stockfinsteren und stickigen Dachboden vorwärts, ein erwartungsvolles Kribbeln auf der Haut. Einer nach dem anderen kletterten wir aus   einer kleinen Gaube aufs Dach und ich schluckte erst einmal, als ich feststellte, dass es sich bei diesem wider Erwarten nicht um ein flaches sonder für meinen Geschmack doch ziemlich geneigten Dach handelte.
Aber der Typ schien ja zu wissen, was er da tat. . .
Weit kam ich aber eh noch nicht, weil vor mir die anderen noch stauten. Denies Ausruf dazu war nur: "Doch nicht auf allen Vieren!"
Er schritt an uns vorbei zum Giebel und forderte uns auf, aufzustehen und EINFACH aufrecht zu gehen.
Sein Argument: "unten" würden wir oft viel unebenere Wege gehen, ohne darüber nachzudenken, und NUR weil wir jetzt "oben" seien, plötzlich nicht mehr vernünftig gehen könnten.
Und als wir uns dann einer nach dem anderen Doch überwanden, stellten wir fest, dass er Recht hatte.
Die ersten Schritte waren sehr zögerlich, doch zunehmend mit jedem Meter wurden sie sicherer.
Ich war erstaunt und vielleicht auch ein bisschen stolz darauf, was ich plötzlich konnte, wenn ich wollte. Wie oft stehen wir uns vielleicht wirklich nur mit unserem eigenen Kopf im Weg. . ?
Ok, ein Kopf hat natürlich auch seine Daseinsberechtigung, weshalb ich noch darauf hinweise, dass sich am Ende des Daches durchgehend ein kleines Metallgeländer befand.
Wir liefen weiter, blieben zwischendurch immer mal wieder stehen, um die Aussicht zu genießen, das "Über-dem-Alltag-zu-stehen", oder um (in meinem Fall mentale) Fotos zu machen (Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände, hatten Ela und ich beide keine Kamera dabei, aber bald bekomme ich die Bilder, von einer unserer Dachweggefährtinnen und dann kommt sicherlich nochmal ein kurzer Nachtrag. . .)
So legten wir immerhin gut 200 Meter über zwei oder drei Häuser zurück und setzten uns am Ende der Häuserzeile hin und unterhielten uns eine ganze Weile. Mein Zeitgefühl hatte ich bereits verloren.
Über uns spielte die Strahlen der Sonne in den Wolken und mir viel auf, wie ich den Himmel komischerweise plötzlich viel bewusster wahr nahm, jetzt wo ich ihm nur ein paar Meter näher gekommen war.
Den Rückweg legten wir schließlich nur in einem Bruchteil der Zeit zurück, die wir noch für den Hinweg gebraucht hatten. Vor dem Abstieg zum Ausgang schossen wir noch ein Gruppenfoto und quatschten noch ein bisschen, weil wir uns offensichtlich noch nicht endgültig vom Dach verabschieden wollten. Die Möwen kreischten über uns. Wir ließen unsere Blicke nocheinmal in die Ferne über die Stadt streifen (die Altbauten im Stadtkern sind alle ungefähr gleich hoch) und dann ging es zurück zum Ausgang, durch die kleine Tür auf dem Dachboden, wo mich doch ziemliche Erleichterung erwartete. Auf dem Weg nach unten wurde dann doch ziemlich viel getuschelt und gekichert, weil wir alle noch so aufgedreht von den ganzen neuen Eindrücken waren. Wieder auf der Straße zu stehen, war im ersten Moment komisch, ich nahm auch jetzt noch jeden Schritt viel intensiver war. Auf dem Weg zu Metro verabschiedete sich dann einer nach dem anderen. Jeder ging wieder seinen Weg, aber unseren gemeinsamen Ausflug werden wir wohl nicht mehr so schnell vergessen :)

PS: Sollte sich der ein oder andere über die merkwürdige Schreibweise von "Dennis" gewundert haben - Das hat schon seine Richtigkeit! Денис ist ein russischer Männername und wird eben wie der weibliche Vornamen "Denise" ausgesprochen :D

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