Sonntag, 20. Januar 2013

Erste Gedanken zu meiner neuen Arbeit


Jetzt ist schon wieder fast ein Wochenende vorbei! Morgen geht es wieder weiter mit der Arbeit und ich freu mich richtig drauf (naja, vielleicht abgesehen von dem frühen Aufstehen)
Seit eineinhalb Wochen arbeite ich jetzt schon in Pawlowsk und nun möchte ich euch auch endlich etwas davon erzählen.
Als erstes muss ich sagen: Ich liebe meine neue Arbeit jetzt schon und bereue es auf keinen Fall dorthin gegangen zu sein, auch wenn die ersten Tage natürlich sehr anstrengend und ich abends oft fix und fertig war, von den ganzen neuen Eindrücken…
In meinem Kopf wirbeln noch all die neuen Farben, Gedanken und Fragen wild durcheinander, und ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll zu erzählen, ohne alles durcheinander und auf einmal sagen zu wollen. Ich versuch‘s mal:
Ich arbeite jetzt also in einem staatlichen Kinderheim für Kinder mit geistiger Behinderung.
Die meisten Kinder wurden gleich nach der Geburt von den Eltern in ein Säuglingsheim gegeben und der Staat übernahm das Sorgerecht. (Einige Kinder haben aber noch Eltern, die sie mehr oder weniger regelmäßig besuchen). Mit 4 Jahren kommen diese Kinder dann nach Pawlowsk und bleiben in der Regel dort, bis sie 18 sind und in ein Erwachseneninternat ziehen.
Die Kinder leben in Gruppen von ca. 10 Kindern zusammen in einem Zimmer, wo jeweils eine Sanitarka (eine unausgebildete Pflegekraft; meistens ältere Frauen, die sich etwas zu ihrer Rente dazuverdienen) im 24h-Schichtdienst sie beaufsichtigt, wäscht, wickelt und füttert.
Außerdem gehören zum staatlichen Heimpersonal noch eine Erzieherin pro Zimmer, Krankenschwestern und 2 Ärzte.
Die Kinder erhalten leider nur das Überlebenswichtigste: drei Mahlzeiten am Tag, ein Bett und eine medizinische Grundversorgung.
Dass diese Kinder genauso wie alle anderen auch emotionale Zuwendung brauchen und sich mit individueller Förderung durchaus weiterentwickeln und lernen können, wissen viele hier noch nicht.
Perspektivy hat deshalb vor fast 20 Jahren damit begonnen Freiwillige und Pädagogen in das Heim zu schicken, die die Kinder für ein paar Stunden am Tag aus den Betten holen, sie in den Arm nehmen, spielen und fördern.
Ich arbeite in der Gruppe 33 mit 8 Kindern. Die Kinder sind alle wunderbar und ich könnte schon stundenlang von ihnen erzählen. Das hebe ich mir aber noch für ein anderes Mal auf, weil ich fürchte, dass das sonst wirklich zu viel werden würde und außerdem lerne ich sie ja jetzt auch erst nach und nach besser kennen.
Dafür möchte ich euch kurz beschreiben, wie mein Arbeitstag aussieht. Den Anlauf habe ich soweit schon ganz gut drin, da der größte Teil des Tages von Pflegerischen Aufgaben beansprucht wird und das eigentlich immer gleich abläuft.
Morgens um 6 (also 2 Stunden früher) klingelt jetzt immer schon mein Wecker und um kurz nach halb 7 verlasse ich das Haus, 10 Minuten zur Metro, 3 Minuten Rolltreppe fahren, 30 Minuten in der Metro bis zum Bahnhof. Dort treffe ich eigentlich immer einige Mitfreiwillige und wir fahren zusammen 25 Minuten mit der Eletrischka (sowas wie ein Zug) bis Pawlowsk. Im Zug ist es schön mollig warm, draußen leuchten die Lichter der Stadt, die wir hinter uns lassen, und meistens wird noch ein bisschen gedöst, bevor es dann raus in die dunkle Kälte geht. 20-25 Minuten Fußweg sind es nochmal bis zum Heim, aber das stört mich überhaupt nicht. Im Gegenteil! Ich mag meinen neuen Arbeitsweg. Morgens habe ich genug Zeit, mich langsam auf die Arbeit einzustellen und Nachmittags kann ich schon entspannen, loslassen und meinen Kopf an der herrlich klaren Luft wieder abkühlen lassen. Und das Beste: auf dem Nachhauseweg sehe ich jetzt jeden Tag die Sonne. Während meiner Zeit im Tageszentrum habe ich unter der Woche so gut wie nie die Sonne gesehen, wenn ich morgens um 10 im Zentrum ankam, war es immer noch und abends um 5 schon wieder dunkel. Und mein Arbeitsweg mit Bus und Metro mitten im Berufsverkehr war kaum kürzer und eigentlich nur stressig.
Jetzt vergeht er wie im Flug und mit den anderen Freiwilligen gibt es auch immer viel zu lachen.
Nuun aber endlich zur Arbeit!
Ich fange morgens um halb 9 an und setzte alle Kinder, die sitzen können in ihre Stühle, damit sie zum Frühstück im Sitzen gefüttert werden können. 4 meiner Kinder können sogar mit etwas Aufsicht ganz alleine essen. Ich füttert meistens ein oder zwei Kinder bzw. versuche, mit ihnen gemeinsam den Löffel zu halten und zu essen. Nach dem Frühstück setze ich die Kinder, die können, auf den Topf und wickle alle und wasche ihnen die Gesichter. Jeden Donnerstag ist bei uns Bannja. Die Kinder werden gebadet, alle Ohren geputzt und die Fingernägel geschnitten.
Die anderen Tage habe ich von 10 – 12 freie Zeit, in der ich mir ein oder mehrere Kinder (die gerade nicht bei einem Pädagogen Unterricht haben) nehmen kann, um mit ihnen spazieren zu gehen, im Spielzimmer zu spielen oder Sitzen, Laufen und ähnliches zu üben.
An manchen Tagen gibt es in dieser Zeit auch in verschiedenen Zimmern Angebote, wie Snoozeln, Malen oder Musik zu denen ich mit den Kindern gehen kann.
Von Viertel bis Dreiviertel 1 haben wir Freiwilligen gemeinsame Mittagspause. Danach helfen wir in unseren Gruppen wieder beim Mittagessen und anschließend wieder bei der Töpfchen- und Wickelrunde. Außerdem werden allen Kindern die Zähne geputzt. Mein Arbeitstag endet eigentlich nach 6 Stunden um halb 3. Von 2 – 3 ist im Kinderheim aber eigentlich eine Ruhestunde, in der die Kinder in Betten bleiben und schlafen sollen. Wenn man bei der Schwester nachfragt, kann man die Kinder aber schon nochmal rausholen und etwas mit ihnen machen. Zum Beispiel haben wir neulich im Spielzimmer auf einer Leinwand Multfilme („Nupagadi“ falls das noch welche kennen) geguckt.
Je nach dem gehe ich zwischen 2 und halb 4 wieder nach Hause.
Perspektivy ist in dem Heim eigentlich nur geduldet und muss deshalb alle Aktivitäten mit der Heimleitung abklären. Welche Rollen genau aber die einzelnen Personen und Organisationen spielen, habe ich noch nicht wirklich durchschauen können. Ich schaue mir jetzt erstmal alles in Ruhe an, versuch einfach mitzumachen und kann und will deshalb auch noch nicht viel dazu sagen. Ich weiß zum Beispiel nur, dass wenn ich mit einem Kind spazieren gehen oder ins Spielzimmer will, ich vorher die Oberschwester fragen muss, dass die Windeln nur von der Sanitarka herausgegeben werden dürfen und so weiter...
Auch den Sanitakas und der Erzieherin werde ich noch nicht so ganz schlau. Meistens schauen sie nur zu, was ich da mit den Kindern „anstelle“ und sagen gar nichts. Ich wüsste gerne, was sie so denken…
Manchmal stehen sie auch neben mir und sagen, ich soll doch etwas schneller machen, oder dass ich nicht so vorsichtig sein muss, dass es schließlich keine Babys mehr seien.
Auf der einen Seite ist ihr Umgang mit den Kindern für mich doch erschreckend grob, und es ist ein komisches Gefühl zu wissen, dass  letztendlich sie alle Entscheidungen treffen, auch wenn ich manchmal denke, dass ich es rein aus dem Gefühl „besser“ machen könnte als sie und ich verstehe ihre Sicht auf die Arbeit und die Kinder einfach nicht.
Auf der anderen Seite sind sie auch Menschen. Ich schreibe das so, weil mir das manchmal so ganz schlagartig bewusst wird. Sie sind immer sehr freundlich zu mir, bedanken sich Nachmittags dafür, dass ich da war. Auch die Kinder sind ihnen keinen falls egal. Sie reden auch mal mit ihnen, schauen nach ihnen, wenn sie schreien oder gehen hin und wieder sogar mit ihnen spazieren.
Ich kann das noch nicht so richtig in Worte fassen, irgendwie ist mein Bild noch ganz verdreht und verzerrt und verschwimmt vor meinen Augen, wenn ich es genauer betrachten möchte. Ich brauche einfach ein bisschen mehr Geduld mit allem, vor allem mit mir. Das ist das, was ich aus den vergangenen 8 Arbeitstagen vor allem für mich festhalten kann.

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