Donnerstag, 6. September 2012

Ich liebe meine neues Zuhause!

 
So jetzt sollte ich aber langsam mal anfangen, von meinen ersten zwei Tagen hier in St.Petersburg zu berichten.

Das Problem ist, dass ich schon gar nicht mehr weiß, wo ich überhaupt anfangen soll. Alles ist so neu und aufregend und jedes noch so kleine Detail für mich furchtbar wichtig.

Wer hätte das gedacht?

Als wir gestern früh um 5:40 am Busbahnhof ankommen, sind wir (die anderen 7 Freiwilligen und ich),anders als erwartet, nicht gerade in Hochstimmung. Wir warten eine Stunde im Bahnhof auf unser Begrüßungskomitee und ich jedenfalls fühle mich wie ein nasser Waschlappen, viel zu schlapp und fertig, um noch irgendetwas aufnehmen zu können oder auch nur eine Gefühlsregung zu zeigen.

Alles scheint seltsam unwirklich und dieses Gefühl verstärkt sich auch noch, als Sophie, Bettina und ich zu unserer Wohnung gebracht werden. Plötzlich schwimme ich mitsamt meinem ganzen Gepäck in einer für die Uhrzeit (meine innere Uhr ist ja fest davon überzeugt, es sei noch um 5) riesigen Menschmenge mit und muss aufpassen, nicht stehen zu bleiben und überrannt zu werden, dann fahre ich schon die scheinbar nie endende und steile Rolltreppe zur Metro hinunter, stehe plötzlich in dem ruckelnden Abteil, in dem vor jeder Station kurz die Lichter ausgehen, inmitten von fremden Leuten, die in einer fremden Sprache reden und mit einer für mich unverständlichen Selbstverständlichkeit ihrem Leben nachgehen, vielleicht gerade zur Arbeit oder Schule unterwegs sind. An der Station Площадь Ленина ("Leninplatz") steigen wir aus. Überall russische Plakate, Werbedurchsagen, Zeitungen und Straßenschilder...


ул. комсомола 15
Je näher wir unserer neuen Wohnung kommen, desto eher spüre ich auch so etwas wie Aufregung. Wir wohnen direkt gegenüber von einem Gefängnis. Wir wuchten unser Gepäck die 94 Stufen in den 5.Stock hinauf, denn einen Fahrstuhl gibt es natürich nicht, und dann stehen wir in der Wohnung, die im nächsten Jahr unser zu Hause sein soll. Es riecht noch ein bisschen komisch und in der Küche stapelt sich noch Geschirr im Abwasch. Mein erster Gedanke war, glaube ich, sowas wie: „könnte doch schlimmer sein“ und gegenseitig versichern wir uns immer wieder: „ach, das machen wir uns schon schön!“


                         Mein Zimmer

Und das stimmt. Nach einem Tee in der neuen Küche verteilen wir die Zimmer, eigentlich um die Betten zu beziehen und endlich zu schlafen, aber dann ist plötzlich alle Müdigkeit vergessen und wir fangen an die Koffer auszupacken, Schränke einzuräumen, Bilder an die Wände zu pinnen und die Zimmer zu dekorieren. Nach ein paar Stunden sind die Zimmer schon gar nicht mehr wiederzuerkennen und ich fühl mich in meinem schon richtig wohl.




Außer 3 Schlafzimmern haben wir noch ein winziges Bad, in das gerade mal die Badewanne passt und das statt einer Tür nur einen pink gemusterten Duschvorhang hat. Außerdem ein noch winzigeres Klo mit uralter olivgrün geblümter Tapete, auf dem wir jedes Wort von den Nachbarn hören, wenn auch nicht verstehen können. Das einzige Waschbecken ist die Spüle in der Küche, wo aus dem „Traktorwasserhahn“ (wer ihn mal hört, weiß, warum wir ihn so getauft haben) kaltes, aber dafür buntes Wasser kommt. Das Wasser riecht auch ein bisschen anders und vorm Trinken oder Zähneputzen muss es erst gefiltert und abgekocht werden. Einige (naja, eigentlich fast alle) Fenster, Schrank- und Zimmertüren klemmen, das Badfenster wird nur noch von einem Riegel gehalten und hat einen kleinen Sprung, eigentlich passt kein Möbelstück zu dem anderen, das einzige Licht in meinem Zimmer ist die Nachttischlampe und das auch nur so lange ich nicht gegen das anscheinend gebrochene Kabel komme…

Die Stahlhaustür wirkt ungefähr genauso einladend wie die zu einem Gefängnis, aber uns hat sie nicht abgeschreckt! Ich habe diesen Post schon so genannt, und ich schreibe es noch einmal: Ich liebe mein neues Zuhause! Wenn man das so liest, könnte man denken, ich wohnte im letzten Loch und vielleicht wirkt die Wohnung wirklich erstmal ziemlich unfreundlich, aber es sind unsere ersten eigenen vier Wände, hier haben wir schon jetzt unsere ersten WG-Abendteuer erlebt und DAS macht sie einfach zu etwas ganz Besonderem!


So ähnlich war das auch mit unserem ersten Essen. Es gab Nudeln mit Tomatensoße, nichts Besonderes, aber eines der besten Abendbrote, die ich je gegessen habe - einfach weil wir so stolz waren, alles selber im russischen Supermarkt um die Ecke gekauft zu haben.



                        Unsere Beute :)

Den restlichen Abend verbrachten wir damit stundenlang unseren völlig verkeimten Kühlschrank, der wahrscheinlich seit Generationen von Freiwilligen nicht ausgewischt worden war, zu schrubben und mit Essig und Desinfektionstüchern zu bearbeiten. Hinterher waren meine Hände wund, aber der Kühlschrank wieder weiß statt grau und die Zwischenböden silber statt schwarz.

Nach einer eiskalten Dusche (inzwischen haben wir aber wieder warmes Wasser) fiel ich in mein gemütliches neues Bett. Eigentlich hätte ich total genervt sein müssen, aber ich war einfach nur zufrieden mit mir und der Welt und mit einem Lächeln schlief ich nach mehr als 24 Stunden auf den Beinen ein :)

Da wir erst am Montag anfangen zu arbeiten, schliefen wir heute aus, frühstückten, erledigten in Ruhe, was wir so machen wollten und machten uns dann auf, die Umgebung zu erkunden. Die Sonne schien und glitzerte auf den Wellen der Neva und auf Kirchkuppeln. Auf dem Leninplatz trafen wir einen leicht angetrunkenen Polizisten, der es partout nicht einsehen wollte, dass wir ihm lieber nicht unsere Kamera geben wollten, und auch sonst hatten wir viel zu lachen.



Нева - die Neva
 
 

Für Dich :)


Gekocht wurde wieder zu dritt: Bratkartoffeln, Spiegelei und (für die Nicht-Vegetarier) Würstchen. Kochlektion Nr. 1 „Keinen Topf nur mit Öl auch nur eine Minute auf dem Gasherd stehen lassen“
Da stand unser Topf nämlich plötzlich in Flammen. Kaum hatten wir einen Großbrand grade noch verhindert, folgte der nächste Schock: am Fenster gegenüber tauchte unser Nachbar auf, der sich Spiegeleier briet - und zwar nackt!

1 Kommentar:

  1. Wer war denn vor euch in der Wohnung? Kann man denn nicht alles sauber machen, bevor man auszieht?
    Wie habt ihr den Brand gelöscht?
    Sah euer Nachbar wenigstens gut aus? ;)

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